Resilienz – ja, bitte! Nur wie?

Verantwortung und Sicherheit für alle

Seit ungefähr zehn Jahren ist die „Resilienz“, die Erhöhung der Widerstands- und Bewältigungsfähigkeit, ein Schlagwort im Krisen- und Katastrophenmanagement geworden. Weltweit nimmt die Bedeutung dieser Idee beständig zu. Eine wachsende Zahl unterschiedlicher Staaten (wie Großbritannien, die USA und Australien) und Organisationen (wie die UN und die OECD), aber auch Akteure im Privatsektor (Swiss Re und Zürich) beschäftigt sich intensiv mit der Frage, wie man technische und soziale Systeme resilienter machen kann. Doch wer sollte wie resilient sein? Wie kann Resilienz aufgebaut werden? Und wer kann sich um diesen Aufbau kümmern? Das bleibt in vielen Fällen unklar. Und all das wirft eine Menge politisch und sozial sensitiver Fragen auf.

Der Nutzen von Resilienz liegt in der Fähigkeit, besser mit Unsicherheiten umzugehen

Resilienz ist eine begehrte Ressource. Sie bezeichnet die Fähigkeit, auf Belastungen, Schocks und Notfälle zu reagieren, ohne zusammenzubrechen und im Anschluss daran die ursprüngliche oder gar eine verbesserte Funktionalität wiederzuerlangen. Der größte Nutzen von Resilienz im Instrumentarium des heutigen Risikomanagements liegt in der Fähigkeit, besser mit Unsicherheiten umzugehen. Denn angesichts der Vielfalt, Komplexität und der Unberechenbarkeit aktueller Risiken ist es schier unmöglich, absolute Sicherheit zu gewährleisten. Krisen und Katastrophen können selbst mithilfe der bestmöglichen Risikomanagementmaßnahmen nicht verhindert werden. Das Augenmerk der Risikovorsorge wird daher immer öfter darauf gelegt, krisenfester zu werden, und nicht mehr nur darauf, wie solche Ereignisse vermieden werden können.

Gesellschaftsvertrag und Sicherheit

Staaten beanspruchen typischerweise, eine letztendliche Verantwortung für die Sicherheit der Gesellschaft zu übernehmen. Diese Deutung der Verantwortung entspricht einem stillen und lange währenden Gesellschaftsvertrag zwischen Bürgern und Staat. Demzufolge überlassen die Bürger einige ihrer Freiheiten sowie das Gewaltmonopol dem Staat. Im Gegenzug dafür erhalten sie die Zusicherung von Schutz und Sicherheit. Dieser Gesellschaftsvertrag bleibt nur gültig, solange die staatlichen Strukturen es der Regierung erlauben, ihren Teil des Vertrags einzuhalten. Ist dies nicht möglich, muss das stillschweigende Abkommen neu verhandelt werden.

Doch die Risikolandschaft des 21. Jahrhunderts verändert sich. Unter diesen Umständen hat der Druck zur Aufteilung der Verantwortung zwischen Bürgern und Staaten zugenommen. Die britische Sicherheitsstrategie schlug bereits im Jahr 2010 vor: „Wir müssen Resilienz fördern [...] Dabei muss die Regierung zwar eine Schlüsselrolle übernehmen [...] Aber wir müssen alle mithelfen, das Land sicher zu machen.“ Und bezüglich des Heimatschutzes stellte US-Präsident Barack Obama fest: „Wachsende und sich ausbreitende Bedrohungen erfordern den Einsatz der gesamten Nation. Jeder soll seinen Teil beitragen, um eine resilientere Nation aufzubauen.“

Sind Bürger bereit und in der Lage, mehr Verantwortung zu übernehmen?

Aus dieser Umstellung ergeben sich jedoch politische Fragen: Sind Bürger bereit und in der Lage, mehr Verantwortung zu übernehmen? Können Regierungen von ihren Bürgern erwarten, dass sie die Verantwortung für ihre eigene Sicherheit übernehmen? Und werden sie sich dann noch regieren lassen?

Verantwortung zur Gewährleistung von Sicherheit neu gedacht

Unter dem Paradigma der Resilienz deuten immer mehr Regierungen an, dass sie nicht mehr in der Lage sind, die Sicherheit der gesamten Gesellschaft allzeit zu gewährleisten. Sie weisen immer wieder darauf hin, dass die Risikolandschaft zunehmend komplexer, unberechenbarer und in vielen Fällen kostenintensiver geworden sei. Hinzu kommt, dass das Ausmaß von vielen Katastrophen mittlerweile so groß ist, dass diese ohne einen gesamtgesellschaftlichen Ansatz nicht mehr angemessen bewältigt werden können.

In der Konsequenz reagieren die Risikomanagementorgane der Regierungen mit dem Wunsch, die Verantwortung zur Risikovorsorge auf den Bürger zu übertragen. Die Notwendigkeit, Verantwortung zu teilen, bietet nicht nur den Rahmen, um künftige Sicherheitsherausforderungen zu bewältigen, sondern sie ist auch eine Chance für mehr Bürgerbeteiligung in öffentlichen Angelegenheiten. Zu verstehen, wie (und wie viel) Verantwortung übertragen werden kann, ist von zentraler Bedeutung für die Umsetzung von resilienzbasierter Sicherheitspolitik.

Einige Beobachter sehen in der Übertragung von Verantwortung eine Stärkung der Selbstbestimmung und der Gesellschaft, insbesondere wenn sie mehr Beteiligung von bürgergeführten Initiativen zur Folge hat. Andere Beobachter warnen jedoch davor, das Konzept von „Gemeinschaft“ zu stark zu romantisieren. Sie weisen auf die negativen Nebenwirkungen hin, Resilienz als allumfassendes Sicherheitsparadigma zu begreifen. Resilienz kann nur dann funktionieren, wenn das Bewusstsein besteht, dass es unüberwindbare Unsicherheiten gibt. Bürger müssen bei der Umstellung auf Resilienz darauf eingeschworen werden, dass die Gesellschaft stets wachsam gegenüber Gefahren sein muss.

Überdenken des Gesellschaftsvertrags

Politische Behauptungen, dass unter den Bedingungen einer erhöhten Unsicherheit und Unberechenbarkeit Sicherheit für alle nicht mehr garantiert werden kann, gehen Hand in Hand mit dem Aufruf an die Bürger zu mehr Resilienz und Selbstbeteiligung bei der Risikovorsorge. Diese Behauptung stellt jedoch den Gesellschaftsvertrag in Frage, weshalb die politischen Folgen der Aufteilung von Verantwortung näher betrachtet werden sollten.

Die Risikolandschaft hat sich so verändert, dass viele Staaten eine stärkere Mitarbeit der Bürger brauchen

Während das neue Konzept der Resilienz und der Umverteilung von Verantwortung in akademischen Kreisen und internationalen Organisationen bereits relativ gut etabliert ist, herrschen in der Bevölkerung gemeinhin eher traditionelle Auffassungen von Schutz und Sicherheit vor. Der Staat wird in vielen Fällen für die Gewährleistung von Sicherheit und den Schutz verantwortlich gehalten. Die herkömmlichen „command and control“-Ansätze des Risikomanagements stellen dabei eine Art „Autoritäts-Falle“ dar, die die übertragenden Organe und den Resilienzansatz in eine prekäre und komplizierte Position gebracht hat. Naturkatastrophen in Italien (Überschwemmungen in den Alpen) oder in Australien (Großflächenbrände) verschlimmerten sich gar, weil die Bevölkerung blind den Fähigkeiten der staatlichen Notfallmanager vertraute, was zuvor die Notfallvorsorge der Privathaushalte geschwächt hatte.

Die Verantwortungsübertragung könnte in einem veränderten Zivilschutz-Kontext einen neuen oder weiterentwickelten Gesellschaftsvertrag charakterisieren, in dem weder die typische „command and control“-Politik vorherrscht noch eine Übertragung und Verteilung der Regierungsverantwortung überwiegt. Beide Pole ständen im Gleichgewicht. Aber diese Veränderung zu akzeptieren – sowohl aus Sicht der Bürger als auch der des Staates – birgt viele Herausforderungen für die Zukunft eines erfolgreichen Risikomanagements.

Im Rahmen des Gesellschaftsvertrags sind im Zusammenhang mit dem Thema Sicherheit eindeutige Rollen und Verantwortlichkeiten zwischen Regierenden und Regierten festgelegt worden. Bei der Anwendung des Resilienzansatzes wird sich dieses Verhältnis jedoch ändern und die bis dahin klare Rollenverteilung zwischen Staat und Bürger verwischen. Die Überprüfung der Verantwortungserwartung und -praxis erhält damit eine Schlüsselfunktion, weil sie die künftigen Herausforderungen der Verantwortungsteilung für Risikomanager und Politiker aufzeigt. Ohne Neuverhandlung des Gesellschaftsvertrages müssen die Risikomanager vorsichtig handeln, um auszubalancieren, wie Verantwortungsteilung zu mehr Sicherheit führt, in einer Art, die sozial und politisch verträglich und effektiv ist.

Zur Person

Dr. Tim Prior, Jahrgang 1975, leitet die Forschungsgruppe Risiko und Resilienz am Center for Security Studies der ETH Zürich. Seine Arbeitsschwerpunkte liegen in der praktischen Nutzung von Resilienz im Katastrophenmanagement und der Entscheidungsfindung unter Risikobedingungen.

Hochschule

Website des Center for Security Studies der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich. Hier finden Sie Dr. Timothy Priors Kurzvita und eine Liste seiner Publikationen.

Zur Website

Zur Person

Dr. Myriam Dunn Cavelty, Jahrgang 1976, ist Dozentin und stellvertretende Leiterin des Bereichs Lehre und Forschung am Center for Security Studies der ETH Zürich. Ihre Arbeitsschwerpunkte liegen in der politischen Soziologie von Themen wie Risiko und Sicherheit, Cybersecurity und Resilienz.


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